Tausende Zentralasiaten arbeiten auf Moskaus Baustellen und Märkten. Die oft unterbezahlten Männer unterstützen mit dem Geld ihre Familien zu Hause und helfen gleichzeitig, Russlands Arbeitskräftemangel auszugleichen.

Mit hochgekrempelten Ärmeln wuchten Muratdschan und Safar eine schwere Betonplatte Richtung Baugrube. Die Brüder aus Usbekistan arbeiten im Süden Moskaus in der Nähe der Metrostation Domodedowskaja auf einer der zahlreichen Hochhaus-Baustellen. Seit drei Jahren verdienen sich die beiden Zentralasiaten ihren Unterhalt in der boomenden Metropole. Laut Safar bietet das Zentrum der einstigen Sowjetunion Arbeit für jedermann, auch für ausländische Zuwanderer. „Man darf nur nicht zu anspruchsvoll sein”, erzählt sein Bruder. „Als Baggerfahrer oder Straßenarbeiter finden wir hier immer einen Job.” Ob als Handlanger auf den rund um die Uhr lärmenden Baustellen, als Händler hinter klapprigen Obst- und Gemüseständen oder als Fahrer der privaten Kleinbusse – Immigranten aus den Nachbarstaaten sind längst zum festen Bestandteil des Moskauer Stadtbilds geworden. Kaum ein Russe mag die schweren Arbeiten für den Durchschnittslohn von 10.000 Rubel (300 Euro) verrichten. Für einen Usbeken ist das ein Vielfaches dessen, was er daheim verdienen könnte.

Immigranten aus Usbekistan, Kirgisistan und dem Kaukasus

Auch in anderen russischen Großstädten sind Immigranten aus Zentralasien, der Ukraine und dem Kaukasus im Niedriglohnsektor tätig. Selbst der Ferne Osten verzeichnet einen beträchtlichen Anstieg an ausländischen Arbeitskräften. Chinesen arbeiten auf dem Bau und in der Landwirtschaft oder erobern die Städte Sibiriens als lukrative Absatzmärkte für ihre Billigprodukte. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) stellt in Russland vor allem eine Zunahme der illegalen Einwanderung fest. „Ein Großteil der offiziellen Schätzungen geht von mehr als zehn Millionen illegaler Arbeitsmigranten aus, die sich derzeit in Russland aufhalten”, sagt Murray Feshbach, US-Experte für russische Bevölkerungsentwicklung. Von den jährlich 320.000 nach Russland einreisenden Georgiern besitzt nach Angaben der Föderalen Migrationsbehörde nur ein Prozent eine Arbeitserlaubnis. Der starke Zustrom von Ausländern, die ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis nach Russland kommen, liegt auch an der Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Lebensverhältnisse in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken. Besonders in Ländern mit inneren Konflikten wie Tadschikistan, Armenien oder Georgien ist laut IOM-Bericht ein Exodus junger Leute zu beobachten. Obwohl billige Arbeitskräfte im Riesenreich fehlen, schlägt den Migranten oft Ablehnung oder gar Hass entgegen. Aktuellen Umfragen zufolge befürworten fast 60 Prozent der Bevölkerung einen vollständigen Zuwanderungsstopp. Die Angst vor der Migrantenwelle aus dem Kaukasus, Zentralasien oder China ist in der Gesellschaft tief verankert. Diskriminierung, Ausgrenzung und Übergriffe aus rassistischen Motiven mehren sich und sind Ausdruck einer latenten Ausländerfeindlichkeit.

Bevölkerungsschwund wegen niedriger Geburtenrate

Dabei braucht die russische Wirtschaft laut UN-Angaben auch in Zukunft dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland. Der Bevölkerungsschwund wegen der niedrigen Geburtenrate wird von Jahr zu Jahr größer. Um den derzeitigen ökonomischen Boom aufrechterhalten zu können, müsse Russland spätestens ab 2015 jährlich zwei Millionen Ausländer aufnehmen. Die derzeitige Bevölkerungszahl von 142,4 Millionen werde bis zum Jahr 2050 auf 104 Millionen abnehmen. Der Minister für regionale Entwicklung, Wladimir Jakowlew, gab Anfang des Jahres bekannt, dass in Russland im Jahr 2025 auf einen Erwerbstätigen bereits vier nichtberufstätige Personen kommen, sollte der gegenwärtige Trend anhalten. Der Kreml hat das demographische Dilemma aufgegriffen. Präsident Wladimir Putin verkündete in seiner Jahresbotschaft im April, dass sein Land auf eine gelenkte Zuwanderung angewiesen ist. Das Regierungsprogramm für 2007 sieht eine schnellere Erteilung von Arbeitsgenehmigungen vor, um viele Migranten aus der Illegalität zu holen. Der Migrationswissenschaftler Feshbach beobachtet eine zunehmende ethnische Ghetto-Bildung, besonders dann, wenn die Einwanderer aus anderen Kulturen kommen. Die russische Zivilgesellschaft sei auf eine massive Einwanderung nicht ausreichend vorbereitet. Anfang September war es in der nordrussischen Kleinstadt Kondopoga zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen örtlichen Einwohnern und zugereisten Kaukasiern mit mehreren Toten gekommen. Experten befürchten, dass sich solche Konflikte in Zukunft häufen werden. (dpa)

Von Angela Lieber

06/10/06

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