Günther Behr nutzt seinen Ruhestand, um eine Reise durch Osteuropa und Zentralasien bis nach China oder weiter zu unternehmen. Er reist ausschließlich per Zug und Bus und interessiert sich vor allem für die Menschen, denen er begegnet.

Günther Behr ist kein typisch deutscher Rentner. Der Münchener verbringt seinen Sommer nicht im Biergarten oder auf Kaffeefahrten mit seiner Frau. Günther Behr reist durch Osteuropa, Russland und Zentralasien nach China, um mehr von der Welt zu sehen und etwas über die Menschen zu lernen. „Ich hatte schon immer vor, eine größere Reise zu unternehmen“, so der 69-Jährige, „aber als ich noch berufstätig war, hatte ich niemals Zeit dafür.“

Fremde Mentalitäten und fremde Kulturen

Seine Planung begann Anfang des Jahres. Er besorgte sich Karten, beantragte Visa und studierte die möglichen Reiserouten. Da er außer Englisch keine andere Sprache spricht, ließ er sich von russischsprachigen Bekannten kleine Kärtchen anfertigen, auf denen, neben dem kyrillischen Alphabet, auch die wichtigsten Floskeln und Auskünfte in Druckbuchstaben aufgeschrieben wurden. Zum Beispiel: „Entschuldigen Sie. Wo finde ich eine günstige Unterkunft für zwei bis drei Tage? Dankeschön!“

Dass er alleine reist, ist für ihn kein Problem: „Es wäre natürlich schön, wenn mich jemand begleiten würde, der russisch spricht, das würde alles ein wenig vereinfachen. Aber alleine kann man tun und lassen, was man will.“ Der verheiratete Münchener hat zwei Kinder und ist erst im Juni Großvater geworden. „Besonders meine Frau war natürlich sehr besorgt, als sie von meinen Reiseplänen erfuhr. Aber sie wusste, dass ich mich nicht davon abbringen lassen würde“, erzählt er mit einem charmanten Grinsen. Generell lächelt Günther Behr sehr viel und erzählt gerne über sich und seine Reise. Für einen Mann, der schon ein langes erfahrungsreiches Leben hinter sich hat, scheint er sehr offen für fremde Mentalitäten und fremde Kulturen. Für Günther Behr sind nämlich vor allem die Menschen aufregend. Daher sieht man auf seinen Fotos, die er zeigt, kaum Denkmäler, Plätze oder Kirchen, sondern Leute, Leute im Marktgetümmel, Leute mit Kamelen und Leute in der Natur. „Wissen Sie, ich habe schon so viele Kirchen und Denkmäler in meinem Leben gesehen“, erzählt er, „daher sind die Begegnungen auf den langen Fahrten im Zug das eigentlich Aufregende an meiner Reise.“

„In meiner Jugend bin ich viel getrampt“

Als er Ende Juli aufbrach, wollte er eigentlich ab Salzburg, wo er noch Verwandte besuchte, per Anhalter nach Wien fahren. „In meiner Jugend bin ich viel getrampt, aber heutzutage scheint es wohl nicht mehr so gut zu klappen.“ Drei Stunden stand er an einer viel befahrenen Kreuzung, niemand hielt an. Und so ging er zurück nach Salzburg und stieg dort in einen Zug. Er fuhr von Salzburg nach Wien und von dort aus nach Bratislava. Auf der Strecke nach Krakau wurden ihm im Schlaf 60 Euro und seine Digitalkamera gestohlen, Günther Behr ist jedoch froh, dass der Dieb ihm seine Papiere und Karten dagelassen hat. „Er hätte auch einfach mein ganzes Portmonee mitnehmen können“, erzählt er, „dann wäre meine Reise zu Ende gewesen. So müsste ich ihm eigentlich danken.“ Er lacht, zeigt vergnügt seine Fotos und Karten, während er über seine Abenteuer berichtet. Von Krakau fuhr er nach Lemberg in der Ukraine, nach Kiew und dann auf die Krim. In Gorlowka, im Osten der Ukraine, verpasste er seinen Zug und musste ganze drei Tage auf den nächsten warten. Er kam bei einer Familie unter und wurde sehr gastfreundlich versorgt. „Ohnehin ist es wirklich rührend, wie sich die Leute um einen kümmern. Auch im Zug sind die meisten sehr interessiert und bieten mir oft Tee, Essen und Wodka an.“ Über Wolgograd in Russland erreichte er schließlich Atyrau im Norden Kasachstan. Er brauchte Geld, fand aber keinen Automaten, der seine Geldkarte annahm. „Wildfremde Leute, die mein Problem bemerkten, nahmen sich meiner an und fuhren mit mir quer durch die ganze Stadt, bis wir endlich den richtigen Geldautomaten fanden“, berichtet er begeistert, „so was kann ich mir, zumindest in Deutschland, nicht vorstellen.“ Trotzdem waren bei all seinen Erlebnissen die Sprachbarrieren ein großes Problem. „Besonders beim Fahrkartenkauf kann es zu großen Missverständnissen kommen“, fügt er hinzu, „Aber mit Händen, Füßen und meinen Kärtchen kann man schon eine Menge erreichen.“ Ohnehin reist der ehemals selbstständige Werbetexter nach dem Motto: „Wer ein Ziel hat, hat auch einen Weg.“ Trotzdem merkt man ihm an, dass er froh ist, bei seiner Station in Almaty das Deutsche Haus entdeckt zu haben und sich wieder mit so vielen Menschen auf Deutsch unterhalten zu können.

Wie lange seine Reise noch dauern soll, weiß er noch nicht. China will er aber auf jeden Fall noch sehen und vielleicht auch Vietnam. Was ihm bisher am meisten auf seiner Reise gefallen hat? „Die Begegnungen mit Menschen“, sagt er nach langen Überlegungen. Aus Urumtschi in China, seiner nächsten Station nach Almaty, schrieb er jedoch noch eine Email an die Redaktion: „Jetzt ist mir doch etwas eingefallen, was mir besonders gefallen hat: Das eine war die Wolga, die bis an den Horizont reichte. Und das andere war das Goldgelb der kasachischen Steppe. Das muss wohl ein spezielles Gras sein, das nicht grau wird, wenn’s vertrocknet, sondern tatsächlich richtig goldgelb leuchtet.“

Von Helmut Tiede

08/09/06

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