Jana Dümmler arbeitet seit September 2008 für das Goethe-Institut als Sprachassistentin in Kostanai. Sie gibt einen Einblick in ihre Arbeit im Sprachlernzentrum und in das Überleben im nordkasachischen Winter.

/Bild: privat. ‚Weckt Begeisterung für die Deutsche Sprache: Jana Dümmler unterrichtet im Sprachlernzentrum Kostanai.’/

Es ist heiß in der Wohnung. Ich laufe barfuß und mit Shorts schnell auf den Balkon. Mist, die Milch ist schon wieder eingefroren. Ein Blick aufs Thermometer am Fenster: – 15° C. Straße und Himmel sind grauweiß. Schnell wieder rein! Ich ziehe mich warm an und verlasse die Wohnung in einem typisch sowjetischen Plattenbau. In der Hand trage ich leere 5-Liter-Wasserkanister, in denen Trinkwasser verkauft wird. Schnell will ich den Hof überqueren, von rechts kommt eine Frau mit schweren Einkaufstüten. Plötzlich ruft sie aufgebracht: „Was fällt Ihnen ein!! Mit leeren Eimern den Weg überqueren?“ Ich bleibe verdutzt stehen. Sie läuft dreimal um mich herum und geht kopfschüttelnd weiter. Später erfahre ich: Leere Eimer sind dasselbe wie schwarze Katzen. Sie bringen Unglück, wenn sie vor einem den Weg überqueren. Ich gehe weiter. Auf dem Weg zu den Mülleimern muss ich über das Heizungsrohr steigen. Hier liegen schön aufgereiht die Hofkatzen und wärmen sich am schlecht isolierten Rohr den Bauch.

Es ist Winter in Kostanai – einer kleinen Stadt mit 200.000 Einwohnern im Norden Kasachstans, da, wo Steppe und sibirische Taiga aufeinandertreffen. Seit Anfang September bin ich hier als Sprachassistentin des Goethe-Instituts. Hauptsächlich bin ich am örtlichen Sprachlernzentrum tätig. Ich unterrichte in zwei eigenen Kursen Deutsch und helfe in anderen aus. Manchmal führe ich auch Seminare für Lehrer durch, berate Studenten und Universitätsdozenten zu den Stipendienmöglichkeiten des DAAD und organisiere Veranstaltungen. Am Donnerstag steht zum Beispiel ein Runder Tisch auf dem Plan zum Jahresthema „Kasachstan in Deutschland“. Wir wollen über die Tätigkeiten des Sprachlernzentrums informieren, Studien- und Praktikamöglichkeiten in Deutschland aufzeigen und den Film von Anna Hoffmann über den Besuch von nach Deutschland ausgewanderten Kasachstandeutschen in ihrem alten Heimatdorf zeigen. Die Arbeit ist abwechslungsreich und macht mir viel Spaß.

Überhaupt bin ich gerne hier. Dazu tragen insbesondere die freundlichen, herzlichen Menschen bei. Ohne einen kleinen Schwatz über die Neuigkeiten komme ich aus keinem der in der Nähe meiner Wohnung gelegenen Geschäfte. Auch auf dem Markt rufen mich die Verkäuferinnen schon mit Namen. Ausländer gibt es nur wenige in der Stadt, und so ist mein Auftauchen eine Sensation, die mir mal einen Extraapfel, mal zwei Kilogramm einheimischer Flussfische zum „Probieren“ oder eine genaue Vorlesung über die richtige Zubereitung von Apfelkompott einträgt. Immer wieder werde ich gefragt, ob ich Amerikanerin sei. Auf die Antwort: „Nein – Deutsche“, reagieren viele erst einmal fast enttäuscht, manchmal werde ich sogar gefragt: „Warum sprichst du dann so schlecht Russisch?“ Erst wenn sich aufklärt, dass ich und auch meine Eltern in Deutschland geboren sind, erhalte ich meinen schon beschriebenen „Sonderstatus“. Denn Deutschsein ist hier nichts Besonderes. Die Gegend von Kostanai war einer der Siedlungsschwerpunkte der deutschen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele Dörfer galten als „deutsch“. Seit der Wende hat hier die Gesellschaft „Wiedergeburt“ eine ihrer größten Filialen. Dennoch sind inzwischen weit mehr als die Hälfte der Deutschstämmigen ausgewandert. Einige sind geblieben, und beim wöchentlichen Treffen des „Chors der ehemaligen Angehörigen der Arbeitsarmee“ werden alte russlanddeutsche Volkslieder gesungen; und Verkehrssprache dort ist Deutsch – in verschiedenen Dialekten gesprochen. Als Sprachassistentin engagiere ich mich auch für die Angehörigen der deutschen Minderheit. So sieht es das Programm „Förderung der deutschen Minderheit“ vor, dem auch die Gründung des Sprachlernzentrums zu verdanken ist. Ich besuche Sprachkurse, das Treffen der Älteren und helfe auch mal beim richtigen Transkribieren deutscher Liedtexte. Advent habe ich in verschiedenen Begegnungszentren der deutschen Minderheit im Oblast gefeiert und dort mit Kindern und Senioren gebastelt, gesungen und gebacken.

Auf diese Art habe ich schon viele unterschiedliche Orte besucht, und in den nächsten Wochen werden es noch mehr werden. So werde ich nach Arkalyk reisen, in eine kleine Stadt mitten in der Steppe, im Gebiet Torgai und dort Kurse und Seminare für Deutschlehrer und –lerner durchführen – an der Universität und an der örtlichen „Wiedergeburt“. Für Seminare in Methodik des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts und in Landeskunde geht es nach Petropawlowsk und Ust-Kamenogorsk. Ich freue mich sehr auf die Gelegenheit, mehr vom Land zu sehen. Denn Kasachstan ist wie seine Bewohner sehr vielseitig, und mit Stereotypen wird man dem Leben hier nicht gerecht. In dem Maße wie meine Russischkenntnisse zunehmen, eröffnen sich auch mit jedem längeren Gespräch neue Perspektiven. Langsam fühle ich mich heimisch, hier in der Provinzstadt im Norden, an der Grenze zwischen großer Steppe und Taiga, zwischen neuem Kasachstan und alter Sowjetunion, zwischen Tradition und Moderne.

10/04/09

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