Jetzt ist schon wieder Neujahr, und ich knabbere und knuspere immer noch an den alten Vorsätzen herum, die ich seit Jahren als Ballast mit mir herumschleppe. Natürlich würde ich lieber gesünder leben, mehr Sport treiben, weniger Fleisch essen und all das. Doch irgendwie will es mit der Umsetzung nicht klappen. Dieses Schicksal teile ich mit ganz vielen Menschen, erfahre ich am Neujahrstag von einer Journalistin, die mich eben anrief.

Die Journalistin rief aber nicht an, um mich zu trösten, sondern um von mir als Expertin zu erfahren, wie man es schaffen kann, das umzusetzen, was man sich vorgenommen hat. Na, da fragt sie die Richtige, dachte ich mir. Denn als mich der Anruf ereilte, fand ich mich nach einer durchzechten Nacht höllisch verkatert auf meinem Sofa wieder und sinnierte darüber nach, warum ich es schon wieder nicht geschafft hatte, einen ruhigen Abend zu verbringen, welche Gelegenheit mein innerer Schweinehund ergriffen hat, sich durchzuboxen und welche Parameter ich verändern muss, damit es künftig mit dem Zurückhalten besser klappt. Das Thema passte also prima zu meinem Zustand. Jetzt musste ich aber blitzschnell aus der Position der Betroffenen in die Rolle der Expertin wechseln. Was gelang.

Mein Hirn schaltete sofort um von selbstgemachten Vorwürfen auf allgemeine Reflexion über Vorsätze. Der Versuch, ein paar knappe, allgemeingültige Regeln zur Zielerreichung zu formulieren, misslang. Stattdessen spuckte mein Hirn eine hochphilosophische und tiefenpsychologische Abhandlung aus. Ich verlor mich in den Überlegungen, dass man sich zunächst eingehend und ausufernd mit dem Ziel an sich befassen müsse – ist das Ziel wirklich ein Ziel oder nur ein Vorwand oder Gesprächsanlass? Will ich damit meine Haltung zur Welt, zum Leben, zu mir ausdrücken? Ist es mein eigenes Ziel oder habe ich es mir von anderen aufschwatzen lassen? Sodann gilt es, sich mit der Motivation zu befassen: Wie wichtig ist mir ein Ziel wirklich? Auch ein großes Kapitel für sich. Wenn es dann irgendwann mal um die Zielumsetzung geht, gilt es, Blockaden aufzuspüren: Ist es ein neues Ziel oder schleppe ich es schon ewig mit mir herum? Und warum habe ich es noch nicht erreicht, welche Blockaden stehen der Zielerreichung im Wege? Und bei der Umsetzung muss ich natürlich die eigene Persönlichkeit kritisch drehen und wenden: Was nutze ich, um meinen Antrieb zu erhöhen? Meinen Stolz, meine Eitelkeit? Werde ich lieber belohnt oder bestraft? Und vieles mehr …

Meine Ausführungen passten nicht wirklich zur Frage, wie ich selber fand, aber die Journalistin fand darin immerhin den einen oder anderen Hinweis, den sie in ihrem Beitrag verarbeiten konnte. Ich für meinen Teil fand dadurch einen neuen Zugang zum Thema, da ich bislang nicht den Versuch unternommen hatte, allgemeingültige Regeln aufzustellen. Jetzt frage ich mich: Geht das? Und was kann man guten Gewissens als allgemeingültige Faustregel in die Welt setzen? Damit werde ich noch ein paar Jährchen beschäftigt sein. Aber mich selbst als Fallbeispiel nehmend, komme ich schon mal zu dem Schluss: Ich bin schlicht nicht der Vorsätze-Typ. Zu trotzig. Zu spontan. Ich mache einen großen Bogen um Strukturen und Begriffe wie Disziplin, Verzicht und Konsequenz: Dies löst bei mir allergische Reaktionen aus. Ergo: Ich befreie mich endlich und endgültig von der Last der Vorsätze-Umsetzerei und widme mich ganz der Reflexion darüber. Der Journalistin sei Dank!

Julia Siebert

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