Das Jahr 2015 stand ganz im Zeichen der Gedenkfeier „70 Jahre Sieg über den Nationalsozialismus“: Zeitzeugen erinnerten sich an die entsetzliche Zeit vom 22. Juni 1941 bis 9. Mai 1945, in der die Sowjetunion um Leben und Tod gegen die Nationalsozialisten kämpfte. Seite an Seite mit anderen sowjetischen Nationalitäten haben die Sowjetdeutschen alles für den Sieg gegeben – sowohl an der Front als auch im Hinterland.

Ein russischer Soldat deutscher Nationalität

[…] Alexander Stern war ein Russlanddeutscher und Veteran des Großen Vaterländischen Krieges. Da er ein ständiges Mitglied des Russisch-Deutschen Hauses der Altairegion war, verfasste die Mitarbeiterin des Russisch-Deutschen Hauses Larisa Bogatirowa 2005 seine Memoiren.

Alexander Stern wurde 1927 in der deutschen Kolonie Janino geboren. Anfang der 30er-Jahre wurde die Familie enteignet und in die Chibinen im Bezirk Murmansk umgesiedelt. Bereits am Weg in die Chibinen erfuhr die Familie Stern, dass ihre Enteignung für ungültig erklärt wurde. Da sie sich noch nicht weit von Janino entfernt hatten, als sie die Botschaft erhielten, hätten die Sterns auch problemlos wieder umkehren können, beschlossen jedoch, weiterzuziehen.
Das Örtchen, in dem sie sich niederließen, hieß Porochowyje (in der Nähe von St. Petersburg) und umfasste das Stadtzentrum sowie umliegende ländliche Gebiete, vom Zentrum durch einen Fluss getrennt. In der Nähe dieses Flusses baute sich die Familie Stern ein Haus und ein neues Leben auf. 1938 wurde der Vater der Spionage beschuldigt und verhaftet. Hinterher erwiesen sich die Anschuldigungen als ungerechtfertigt, jedoch erst nach Ableben des Vaters. So wurde Alexander mit elf Jahren zum Hausherrn.

Es folgte der Krieg, die Leningrader Blockade, der Hunger. Alexander war zu der Zeit 14 Jahre alt und besuchte eine Handwerksschule, die zu einem Betrieb gehörte, in dem die Jugendlichen auf Augenhöhe mit den Vollzeitarbeiten arbeiten mussten. 1942 wurden die Schüler der Handwerksschule über den Ladogasee aus Leningrad evakuiert. Der Ladogasee wurde auch „Weg des Lebens“ genannt, da über ihn viele Menschen vor der Bombardierung und dem Beschuss Leningrads zu fliehen versuchten, nicht alle jedoch mit Erfolg. Den Schülern der Handwerksschule gelang die Flucht.

Ausgemergelt vom Hunger, durchgefroren und erschöpft vom nächtlichen Herumirren – aber immerhin am Leben –, erreichten die Schüler einen sicheren Ort, an dem sie in Züge gesetzt und nach Wladimir bzw. weiter nach Kasan geschickt wurden. Alexander beschloss jedoch, alleine nach Leningrad zurückzukehren, um – trotz seiner 15 Jahre – einen Einberufungsbefehl zu bekommen. Im Wehrkommando gab er ehrlich an, deutscher Nationalität zu sein – und wurde darauf zum 17-Jährigen russischer Nationalität.

„Niemals werde ich den dunkelhaarigen Offizier mit Majorsrang vergessen, zu dem ich geschickt wurde, nachdem sie von meiner deutscher Nationalität erfuhren“, erinnerte sich Alexander Stern. „Er betrachtete mich und fragte: ‚Bist du nun Deutscher oder trotz deines Nachnamens Russe?‘ Ich erzählte ihm, wie ich aufgewachsen war, und er merkte an: „Ich habe den Befehl erhalten, alle Deutschen ab dem 15. Lebensjahr ins Lager zu schicken“. Doch dann schlug er vor, mich als Angehörigen russischer Nationalität einzutragen und in die Armee zu schicken, und dort solle das Schicksal entscheiden, ob ich am Leben bleiben oder sterben sollte.“

So kam der – nun trotz des deutschen Nachnamens russische – Soldat Alexander in ein Ausbildungslager für junge Kommandeure. Nach dem Aufenthalt im Lager diente er in der 18. Luftlandebrigade, in der er in den Genuss einer weiteren Ausbildung kam. 1944 wurde er bereits an die Kareloisch-Finnische Front geschickt. Dort kämpfte er anfangs direkt an der Front gegen die Finnen, geriet bald daraufhin jedoch ins Hinterland und wurde nach Ungarn, in die Nähe von Budapest, geschickt. Dort kämpfte er sich an der Front bis nach Deutschland und Österreich.

„Das Schicksal meinte es gut mit mir. Zum Ende des Krieges hatte ich eine Verletzung am Bein, aber keine schlimme, und bekam einige Prellungen. Einmal jedoch, während eines Nahkampfes, schlug mir ein Nazi mit dem Sturmgewehr so stark auf den Kopf, dass sich eine große Beule in meinem Helm bildete, wodurch ich eine heftige Gehirnerschütterung bekam. Ich schaffte es aber, mich zusammenzunehmen. Dieses Ereignis ist mir mein ganzes Leben lang in Erinnerung geblieben, denn ich spürte danach noch sehr lange die Schmerzen in meinem Kopf.“

Viele Erinnerungen des Veteranen waren über die Jahre nur noch verschwommen vorhanden. Seiner Meinung nach hat der Krieg großen Schaden vor allem bei der Jugend angerichtet, einer Generation, die unter normalen Umständen unbeschwert und sorglos aufgewachsen wäre. Die harte Realität hat viele junge Menschen letztendlich auch zu Verzweiflungstaten getrieben. Der allgemeine Eindruck, der Alexander nach den vielen Jahren vom Krieg geblieben ist, belastete ihn sehr.

Als der Sieg über die Nationalsozialisten endlich gesichert war, kämpfte Alexander in dem kleinen österreichischen Ort Pegau.

Er erinnerte sich später an laute Schussgeräusche aller möglichen Waffen, aus denen die Sieger schossen. Doch weder in diesem Siegesmoment, noch später wurde er als einer dieser Sieger betrachtet. „Ich traf später in meinem Leben einige Menschen, die mir, als sie erfuhren, dass ich Deutscher war, nicht einmal die Hand reichen wollten“, erzählte er mit wehmütiger Stimme.

Bis 1950 blieb Alexander Stern in der Armee, danach widmete er sich dem Weizenanbau. Später zog er nach Altai, wo er als Chauffeur und Automechaniker arbeitete, und anschließend mit seiner Familie nach Barnaul. Er arbeitete stets hart und gewissenhaft.Im Juni 2014 starb Alexander Stern im Alter von 87 Jahren. […]

Swetlana Jasowskaja Übersetzung: Sabrina Kaschowitz

Die Fortsetzung dieses Beitrags lesen Sie in den nachfolgenden Ausgaben.

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