Längst sind dokumentarische Filme nicht mehr Langweilerkino im Nachrichtensprecherton, sondern aufregender als mancher Hollywood-Spielfilm. Das Goethe-Institut Almaty zeigt in der Reihe „dokBox“ ab Ende Februar acht dokumentarisch erzählte Geschichten.

Neulich in Moskau sprach ich mit Naum Kleimann, dem Direktor des Kino-Museums. Naum ist 72, ein grand old man der russischen Filmwelt und selbstverständlich ein wandelndes Kino-Lexikon, dem kein neuer Film entgeht. „Naum”, hörte ich mich sagen, „wir haben da eine Theorie”.

Das war so nicht ganz richtig. Denn was ich sagen wollte, stammte eigentlich von der  Filmjournalistin Cathy Rohnke, die wir im Herbst auf den Hofer Filmtagen getroffen hatten. Sie hatte behauptet: „Das dokumentarische Kino ist heute viel, viel aufregender als die Spielfilme! Jedenfalls in Europa!”

Naum schaute mich über den Rand seiner Brille an, legte wie immer zuerst ein Lachen auf sein Gesicht und sagte dann: „Weißt du – bei uns ist es genauso!”  Es folgte, wie immer bei ihm, eine längere Titelliste von Filmen,  die man einfach gesehen haben muss. Diesmal  lauter neuere russische Dokumentarfilme. Von keinem dieser Filme hatte ich je gehört, dachte aber währenddessen: Möglicherweise kommt „dokBox”, die neue Serie mit dokumentarischen Arbeiten, gerade zum richtigen Zeitpunkt ins Almatyer Kino.

Denn dokumentarische Filme im Kino – das gibt es in Kasachstan praktisch gar nicht, nur auf Festivals. In Europa jedoch, in Deutschland zumal, ist das in den letzten Jahren sehr anders gelaufen. Es gibt Dokumentarfilme, in die das Publikum zehntausendfach geströmt ist: „Am Limit” von Pepe Dankquart zum Beispiel, ein Film über Bergsteiger-Abenteuer (175.000 Zuschauer), oder „Full Metall Village” der Koreanerin Cho Sung-hyung (130.000 Zuschauer). Über 30 neue Dokumentarfilme kommen derzeit pro Jahr in Deutschland in die Kinos.

Das allerdings sind andere Filme als die, an die man bei „Dokumentarfilm” denkt. Vorbei die Zeit des Nachrichtensprechertons, der uns mit Hilfe von Film-Dokumenten belehren wollte und sollte. Das neue dokumentarische Kino hat seine Koffer gepackt und ist hinausgegangen in die Welt, zu den Menschen, zu ihren Geschichten, hört ihnen zu und weiß nicht besser als seine Helden, wie unser Leben und alle Umstände in ihm zu erklären sind. Es findet Geschichten und breitet sie vor uns aus. Keine erfundenen Geschichten jedoch, sondern reale Erzählgegenstände, die man fast anfassen kann.

Anders gesagt: Der Dok-Film kommt heute in einer völlig anderen Ästhetik daher. Er hört zu. Er verzichtet auf Moralismus. Dadurch gewinnt er eine besondere Eindringlichkeit. Der neue dokumentarische Film zeigt, was ist – wobei er nicht „objektiv” ist, denn auch ein Dokumentarfilm wählt aus, verkürzt, nimmt Perspektiven ein. Ein ganzes Spektrum von filmästhetischen Möglichkeiten tut sich da auf, und mit den acht Filmen der Serie „dokBox” werden sehr verschiedene Möglichkeiten sichtbar, wie man die Wirklichkeit einfangen und ins Kino bringen kann.

Dabei ist es natürlich nicht so, dass es in Osteuropa, in Russland oder in Kasachstan solche Filme nicht gäbe. Asija Baigoschina zum Beispiel hat letzthin einen Film über die sogenannten „Oralmans” gedreht, über die aus den Nachbarländern ins heimatliche Kasachstan Zurückkehrenden („Elimay”).  Ein Film, der hier in Almaty entstand, aber praktisch nirgendwo zu sehen ist. Ihn prägt dasselbe Muster: Reale Menschen, die direkt zu uns sprechen, atemberaubende Geschichten, bedrückende und berückende Bilder.

Wenn Naum Kleiman Recht hat, wollen auch die Leute in Kasachstan solche Geschichten jetzt hören und sehen. Das Goethe-Institut meint, die Zeit dafür ist gekommen und startet am 26. Februar die Dokumentarfilm-Reihe dokBox.

dokBox – Neues dokumentarisches Kino

26.02. – 18:00 Uhr Buena Vista Social Club
05.03. – 18:00 Uhr Die Spielwütigen
12.03. – 18:00 Uhr Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra
19.03. – 18.00 Uhr 7 Brüder
26.03. – 18:00 Uhr Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten
02.04. – 18:00 Uhr Sportsfreund Lötzsch
09.04. – 18:00 Uhr Videoprogramme einer Revolution
16.04. – 18:00 Uhr Rhythm is it!

Alle Filme im Kino Caesar, Furmanow-Str. 50 / Gogol-Str. Eintritt frei.

Veranstalter
: Goethe-Institut Almaty in Zusammenarbeit mit dem Kinoklub Oleg Boretzki

Von Günther Hasenkamp

20/02/09

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