Ich habe mir in den Kopf gesetzt, Gebärdensprache zu lernen, habe mich mit allerhand Lehrmaterialien bewaffnet und taste mich nun holperig durch die Grundlagen. Nachdem ich ein Lehrbuch schon zur Hälfte durchgearbeitet hatte, fiel mir plötzlich auf, dass es die schweizerdeutsche Gebärdensprache lehrt.

Nicht nur, dass ich wahrscheinlich lispele und stottere, jetzt spreche ich auch noch Dialekt! Sowieso frage ich mich, ob ich zum Zielpublikum des Buches gehöre, denn ich kann gerade mal bis drei zählen, bin froh, wenn ich auf Gebärden-Hochdeutsch „Hallo“, „Bitte“ und „Danke“ nuscheln kann, soll mich aber schon mit den Spezifika der chinesischen Gebärdensprache und den Sprachbesonderheiten von Maya-Indianern auseinandersetzen. Ja nee, schon klar! Ich wusste zwar, dass es regionale und sowieso nationale Unterschiede gibt und nicht alle Gehörlosen dieser Welt dieselben Zeichen verwenden, aber die Wahrscheinlichkeit, mit Maya-Indianern zu kommunizieren, schätze ich für mich ziemlich gering ein.

Als Übungsbeispiel lerne ich, wie ich berichte, dass die Mutter dem Bruder den Kuchen gibt, der aber keinen Hunger hat und den Kuchen seiner Freundin weiterreicht, die allerdings gerade Diät macht und den Kuchen dem Hund gibt. Mal ganz ehrlich, haben Sie schon mal erlebt, dass jemand sein Kuchenstück weiterreicht? Ich jedenfalls nicht, im Gegenteil, auf allen Geburtstagsfeiern, die ich je besucht habe, haben immer alle mindestens zwei Stücke Kuchen gegessen, selbst die, die vorgaben, satt oder auf Diät zu sein oder eigentlich nicht gern Süßes äßen.

Mein anderes Lehrbuch geht weniger ambitioniert an die Sache heran und will mir vom Affen bis zur Ziege den ganzen Zoo beibringen. Auch nicht nützlicher, finde ich.

Wieso lernt man, wenn man Fremdsprachen lernt, Dinge, die man wahrscheinlich niemals anwenden wird, z.B. „der Hase springt hoch“ oder „die Katze beißt die Schlange“. Wenn ich überlege, wie oft es schon vorgekommen ist, dass ich jemandem unbedingt davon berichten wollte, dass ein Hase hochgesprungen ist oder eine Katze eine Schlange gebissen hat, dann komme ich auf exakt null Mal. Meine Lern-CD Aufbauwortschatz Russisch widmet ein ganzes Kapitel dem Putzen. In meinen zwei Jahren Russlandaufenthalt hat mich nie jemand nach meinen Lieblingsputzutensilien gefragt.

Es sind immerhin Didaktiker, die sich gut überlegt haben, wie sie anderen Menschen eine Sprache beibringen, und wahrscheinlich lernt man auch anhand von weitergereichtem Kuchen und hochspringenden Hasen das Prinzip einer Sprache. Schließlich war Latein mein Lieblingsfach, und ich bin sicher, viel gelernt zu haben, obwohl ich niemals ein Gespräch auf Lateinisch geführt habe, schon gar nicht über den Gallischen Krieg. Und mein Lieblingssatz aus meinem Türkischkurs lautet: „Sie konnten aus ihm keinen richtigen Tschechen machen.“ Insofern: Nichts gegen Sperenzchen. Aber wenn man normalerweise Fremdsprachen lernt, in blutjungen Jahren, hat man eben auch Zeit für Sperenzchen. Heute habe ich extrem wenig Zeit und möchte möglichst schnell und ohne Umwege ans Ziel gelangen: Dinge zum Ausdruck bringen, die ich auch wirklich sagen möchte. Nicht, dass ich ständig nur über ernste Weltthemen sprechen möchte. Aber wenn es schon kein Lehrbuch „Business-Gebärdisch“ gibt, dann wären wenigstens so wichtige Sätze wie „Wo gibt es hier frisch gezapftes Kölsch?“ wünschenswert.

Julia Siebert

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