Usbekistan bleibt für Studenten, Akademiker, Wissenschaftler und Journalisten aus den Nachbarländern meistens geschlossen. Aber seit drei Jahren bringt die internationale Sommerschule in Taschkent junge Leute aus Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan in einem zentralasiatischen Raum zusammen. Dank der Sommerschule werden alle Klischees über Nachbarländer widerlegt und neue erfolgreiche Forschungen durchgeführt.

Anfang September kam der Präsident Usbekistans ins Krankenhaus. Die Aufregung in der Hauptstadt war groß, alle Staatsgrenzen sowie Straßen gesperrt. Dies konnte aber die 19 Studenten aus Karaganda, Almaty, Samarkand und Osch nicht stoppen, im Zentrum Taschkents vor dem Hauptgebäude der Nationalen Universität einen zentralasiatischen Rundkreis zu formieren.

Gemeinsam im Kreis

Ein junger Mann von hohem Wuchs und blondem Haar stand in der Mitte des Kreises und umarmte herzlich alle nacheinander mit den Worten: „Schön, dass du hier bist!“ So startete Cedric Reichel die internationale Sommerschule in Taschkent bereits zum dritten Mal. Er selbst kommt aus Luxemburg, wo man morgens seine Brötchen in Frankreich kauft, nachmittags in Deutschland spaziert, abends nach Belgien essen geht. Dabei stört Mehrsprachigkeit nicht, sondern hilft. Vor drei Jahren ist er nach Usbekistan mit seinen pädagogischen Sprachfähigkeiten und der interkulturellen Erfahrung aus dem Heimatland gekommen. „Am Anfang war ich sehr schockiert, wie stark jedes einzelne zentralasiatische Land in seiner ‚eigenen Suppe‘ schwimmt und von den Nachbarn, mit denen man eigentlich viele Gemeinsamkeiten hat, leider nur negativ geredet wird. Außerdem finde ich, dass die Studierenden viel zu wenig reisen. Die ganzen Stereotype basieren nur auf falscher und einseitiger Information oder eben auf Rückzug in die eigene Identität durch Abgrenzung. Dabei sehe ich die größten und schnellsten Wachstumschancen für Zentralasien in der Öffnung der Grenzen und der Zusammenarbeit. Denn offene Grenzen sind Weg zum offenen Denken“ – so erklärt Cedric Reichel die Grundidee der internationalen Sommerschule.

Von Anfang an hat die Sommerschule junge, dynamische Akademiker aus zentralasiatischen Ländern zusammengeführt. Neben einer gut investierten Zeit soll sie bei den jungen Akademikern Interesse für ihre Nachbarländer wecken und Denkanstöße geben. Bisher gelang es nicht, Studierende aus allen fünf Ländern in der Region zu versammeln. Denn Usbekistan hat immer noch strikte Visa-Regelungen mit Tadschikistan und Turkmenistan. Deshalb musste sich Organisator Cedric Reichel auf Usbekistan, Kasachstan und Kirgisistan beschränken, was bereits anspruchsvoll genug ist. Außerdem war die Sommerschule bereits multiethnisch durch die Teilnahme von Vertretern der Landesminderheiten, z.B. Baschkiren, Tataren, Russen, Uiguren, usw. Insgesamt haben in den drei Jahren knapp 60 Studierende am Projekt teilgenommen, davon sieben aus Kirgisistan und zwölf aus Kasachstan.

Stereotype aufbrechen

Die diesmalige Sommerschule lief ab 1. bis zum 11. September. Einer der wichtigsten Hauptgedanken der Sommerschule ist der kulturelle Austausch. Teilnehmer haben die Möglichkeit, ihre Länder vorzustellen. Dabei sind Kennerlernspiele, Teambuildingmaßnahmen und Einführung in die interkulturelle Kommunikation von großer Bedeutung. „Bisher konnte ich keines unserer Nachbarländer besuchen. Und es wurde mir während der Sommerschule klar, dass ich sehr wenig über Leute und ihre Traditionen, Sitten und Bräuche in Kasachstan und Kirgisistan wusste. Deshalb gab es in meiner Vorstellung nur kleine Klischees und Assoziationen über zentralasiatische Länder. Zum Beispiel verknüpfte ich mit Jurte und Kumys Kirgisistan oder spitze konusartige Kopfbedeckungen (Saukele) mit Kasachen“, erzählt Machtumachon Safarowa, Studentin des Samarkander Fremdspracheninstituts. Während der Sommerschule erfuhr sie vieles über ihre Nachbarn und hat sich nun vorgenommen, die schöne kirgisische Natur mit eigenen Augen zu sehen und 2017 in Astana die EXPO-Ausstellung zu besuchen.

Die Teilnehmer entdeckten auch Gemeinsamkeiten, über Stereotype hinaus. Zum Beispiel verbindet alle die deutsche Sprache, die Geschichte der Region oder Speisen, wie der überall verbreitete Plow. Arailym Kubajewa, Teilnehmerin aus Kasachstan schwärmt: „Das war mein erster Besuch in Usbekistan und mir ist die usbekische Gastfreundschaft aufgefallen. Trotz meines Bachelor-Studiengangs „Internationale Beziehungen“ war mir tatsächlich nicht sehr viel über dieses Land bekannt. Mich hat auch verwundert, dass Kasachisch und Usbekisch so verwandte Sprachen sind.“ Arailym ist der Meinung, kasachische Jugendliche hätten kaum eine Vorstellung, was die usbekische Kultur ausmacht. Man wisse wenig über die Sprache, die historischen Bauwerke oder die Einwohner Usbekistans.

„Code Switching“

Im ersten Teil der Sommerschule wurden Workshops zu Themen, wie zum Beispiel Tourismusdeutsch, wissenschaftliche Projektdurchführung oder persönliche Zielsetzung durchgeführt. Außerdem hat Cedric Reichel in diesem Jahr einen weiteren Schwerpunkt auf das wissenschaftliche Arbeiten gelegt. Dazu wurde der Bosch-Lektor Florian Coppenrath aus Osch eingeladen. Dieser führte eine kleine empirische Forschung im Bereich der Sprachwissenschaften mit den Studierenden durch. Das Forschungsprojekt drehte sich um das Thema „Code Switching“. Hinter diesem Begriff steht das Verwenden mehrerer Sprachen in ein und demselben Gespräch. Das ist ein sehr verbreitetes Phänomen in Zentralasien, wo die Menschen oft zwei oder drei Sprachen auf muttersprachlichem Niveau beherrschen. Durch Umfragen und Beobachtungen in Taschkent haben die Studenten zum Beispiel zwei Tage lang untersucht, warum Code Switching praktiziert wird, oder welche russischen Wörter besonders oft im Usbekischen vorkommen. Auf der Feedbackliste der Teilnehmer fasst Cedric Reichel dazu zusammen: „Die Studierenden haben also nicht theoretisch gelernt, was Forschung ist und wie wissenschaftliches Schreiben funktioniert, sondern lernten vor allem wie man eine Hypothese formuliert, wissenschaftliche Fragestellungen findet und ein Forschungsdesign aufbaut.“ Die Forschungsteams haben auch eine richtige Feldforschung mithilfe verschiedener Forschungsmethoden durchgeführt und die Ergebnisse ausgewertet und präsentiert. Cedric Reichel betont: „Die Ergebnisse und die Evaluation dieser haben mir auf jeden Fall gezeigt, dass die Studierenden diesen Teil der Sommerschule als äußerst wichtig für ihre weitere akademische Laufbahn empfunden haben.“

Die Sommerschule war nicht nur für die Teilnehmer eine sehr bereichernde Erfahrung, sondern auch für die Leiter des Programms. Der Bosch-Lektor Florian Coppenrath hebt hervor, er hätte es als besonders spannend gefunden, zu sehen „wie sich im Laufe der Zeit aus internationalen Teilnehmern ein gemeinsames Gruppengefühl entwickelt.“ Nicht nur seine Arbeit, auch die Privatkenntnisse Zentralasiens betreffend nehme er aus diesem Projekt viel mit. Insbesondere die Gestaltung von Bildungsprojekten jenseits der Staatsgrenzen sieht er dabei als einen „wichtigen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis“.

Turonbek Kozokov

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia