Anlässlich des 3. Oktobers, in Deutschland der Tag der deutschen Einheit, fand am Vortag in der Deutsch-Kasachischen Universität die Veranstaltung „Wiedervereinigung Deutschlands: 30 Jahre später“ statt. Referiert haben zu diesem Anlass Prof. Nurlan Nurseit und Prof. Bodo Lochmann.

Einleitend begann Lochmann, selbst in der DDR geboren und aufgewachsen, mit einem historischen Überblick über die Zustände und politischen Systeme in BRD und DDR nach dem Zweiten Weltkrieg. Die darauffolgende Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 war „der Verdienst des Ostens“, so Lochmann. Von dort seien die ersten Impulse gekommen. Zunächst kleine Demonstrationen wurden immer größer, bis es dann – recht plötzlich – zur Wiedervereinigung kam. „Das Ganze ging vielleicht neun Monate. Dieser Prozess war kurz, spontan und unvorhersehbar. Niemand konnte sich wirklich darauf vorbereiten und irgendwie musste man dann damit umgehen. Das spürt man noch heute“, betonte Lochmann.

Lochmann nannte einige positive Entwicklungen, die auf die Wiedervereinigung folgten, wie politische Freiheit und ein höherer Lebensstandard. Jedoch schildert er auch einige Herausforderungen, die dieser abrupte Umbruch mit sich brachte: Viel Bevölkerungsabwanderung nach Westdeutschland, Arbeitslosigkeit, Zukunftsunsicherheit und Leerstand, um nur einige zu nennen. Er macht auch auf Unterschiede aufmerksam, die durch die Mauer entstanden: „Ostdeutsche wurden manchmal wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Bildungsabschlüsse wurden nicht anerkannt, wenige Ostdeutsche sind bis heute in Führungspositionen.“

Viele dieser Probleme beeinflussten auch aktuelle zentrale Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, hieß es im Vortrag. Lochmann hob hierbei besonders technologische Veränderungen hervor. Vor allem die Energiewende, bei der statt Braunkohle und Erdgas vollständig auf erneuerbare Energien umgestiegen werden soll, stehe aktuell auf der Agenda. Aber auch Fachkräftemangel und Migrationspolitik nannte er.

Aus den Köpfen scheint die Mauer verschwunden

Nurseit, der zweite Referent des Abends, behandelte in seinem anschließenden Kurzvortrag den Zusammenhang zwischen der Ökonomie eines Landes und dessen Regierungssystem. In seinem Forschungsprojekt geht er der Frage nach, welches Regierungssystem die maximale Freiheit und Rechte für Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ermöglicht und gleichzeitig schnelles ökonomisches Wachstum verspricht. Dabei zieht er viele Schlüsse aus der Situation der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Zuletzt geht er auch auf die aktuelle Situation in Kasachstan ein.

In der anschließenden Fragerunde ging es auch um die aktuelle politische Lage in Deutschland – Lochmann thematisierte etwa den Höhenflug der AfD in Umfragen mit Zustimmungswerten über 20 Prozent. Zudem wurde er nach der heutigen Wahrnehmung und Einteilung in West- und Ostdeutschland gefragt. „Also in den älteren Generationen, da gibt es das manchmal noch, diese Einteilung in ‚Wessi‘ und ‚Ossi‘. Aber bei den Jüngeren nicht mehr. Das interessiert niemanden mehr“, so Lochmann. Aus den Köpfen scheint die Mauer also zu verschwinden.

Über 30 Jahre später stellt sich mir als Beobachterin dennoch die Frage, von welcher Einheit wir sprechen. Laut Medienberichten und offiziellen statistischen Angaben liegt die Zahl der über 18-Jährigen in Deutschland lebenden Menschen, die kein Wahlrecht haben, bei rund zehn Millionen. Diese Menschen haben somit auch keine vollständigen Teilhabemöglichkeiten, so dass man wohl davon ausgehen kann, dass nicht jeder in Deutschland den 3. Oktober als einen Tag der Einheit feiert.

Sasha Borgardt

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