Im Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Berlin und Astana unterhalten starke politische und wirtschaftliche Beziehungen, die sich im Zuge der aktuellen geopolitischen Entwicklungen noch weiter vertieft haben. Auch von Seiten der EU ist das Interesse an einem Ausbau der Zusammenarbeit gestiegen, wie die regelmäßigen Besuche von ranghohen Vertretern der Union und vieler ihrer Mitgliedstaaten zeigen. Aktuell weilt der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im zweitgrößten Nachfolgestaat der ehemaligen Sowjetunion. Für ihn ist es jedoch nicht die erste Kasachstan-Reise. Er kennt das Land bereits von seinem Besuch 2017, als er unter anderem mit dem damaligen kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew zusammentraf und die EXPO in Astana besuchte.

Im Interview mit der DAZ spricht der Bundespräsident über seine Eindrücke von den jüngsten Entwicklungen in Kasachstan, Zusammenarbeit in Zeiten geopolitischer Verwerfungen und die deutsch-kasachische Energiepartnerschaft. Darüber hinaus geht es um die Rolle der Kasachstandeutschen als Brücke zwischen unseren Ländern, den Status der deutschen Sprache und die Chancen, die sich durch mehr Kooperation im Bildungsbereich bieten.

DAZ: Herr Bundespräsident, Sie haben Kasachstan bereits 2017 besucht. Inzwischen hat das Land einen neuen Präsidenten, der Reformen umsetzt. Es ist moderner geworden, seine Städte sind gewachsen. Und das geopolitische Umfeld, in dem sich Kasachstan und die deutsch-kasachischen Beziehungen bewegen, hat sich verändert. Wenn Sie Ihre Gefühle und Eindrücke heute mit denen bei Ihrem ersten Besuch vergleichen, was stellen Sie fest?

Frank-Walter Steinmeier: Seit mehr als einem Jahr führt uns der Krieg Russlands gegen die Ukraine den unschätzbaren Wert von Freiheit, Souveränität und Selbstbestimmung besonders deutlich vor Augen. Das gilt für uns in Europa, aber natürlich umso mehr für die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern hier in der unmittelbaren Nachbarschaft Russlands. Auch in Kasachstan verändert sich vieles. Staatspräsident Tokajew hat wichtige Reformen angestoßen: die Todesstrafe wurde abgeschafft, ein Verfassungsgericht eingesetzt, das Wahlrecht wird reformiert, es gibt Entwicklungen im Strafvollzug und Justizwesen. Diese Prozesse zeigen, dass das Land auf einem guten Weg ist. Die Reformen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, ist allerdings Aufgabe der gesamten Gesellschaft.

Wie haben sich Ihrer Ansicht nach die deutsch-kasachischen Beziehungen seit Ihrem letzten Besuch entwickelt, und auf welchen Tätigkeitsfeldern sollte in Zukunft der Fokus liegen?

Ich freue mich, dass unsere bilateralen Beziehungen vielfältig sind. Sie umfassen den politischen Austausch, die Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Bildung, Umwelt und die Zusammenarbeit in internationalen Organisationen sowie zwischengesellschaftliche und familiäre Beziehungen. Wir haben einen regen Austausch zwischen unseren Ländern, nicht zuletzt wegen der jeweils großen Minderheiten in unseren Staaten. Kasachstan ist unser wichtigster Wirtschaftspartner in der Region. Ihr Land steht für mehr als 80 Prozent des deutschen Handels mit Zentralasien. Kasachstan hat der Bundesrepublik zur Seite gestanden, als es letztes Jahr galt, die deutschen Haushalte und Unternehmen zuverlässig mit Rohöl zu versorgen.

Ich freue mich, dass Kasachstan maßgeblich dazu beitragen wird, die Zukunft des Raffinerie-Standortes Schwedt und damit die Treibstoffversorgung in Ostdeutschland zu sichern. In unserer Delegation ist der Wirtschaftsminister Brandenburgs mitgereist, der hier einen Liefervertrag über Rohöl unterzeichnen wird. Unsere Wirtschaftsbeziehungen haben auch über die Lieferungen von Öl und Gas hinaus ein sehr großes Potenzial. Wir richten unseren Blick auf eine künftig CO2-neutrale Energieerzeugung. Wir wollen die Energieversorgung grüner machen und eng zusammen arbeiten im Kampf gegen den Klimawandel. Ich werde bei meinem Besuch in Kasachstan ein Wasserstoffprojekt in der west-kasachischen Region Mangystau anschauen. Mit Wind- und Sonnenenergie könnten dort bald große Mengen grünen Wasserstoffs produziert werden.

Welche Fragen stehen bei Ihrem aktuellen Besuch auf der Tagesordnung?

Im Fokus meiner Reise steht die Entwicklung unserer bilateralen Zusammenarbeit im politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich. Wir wollen uns enger und vielfältiger vernetzen. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat uns Deutschen ganz klar gezeigt, dass wir unsere weltweiten Beziehungen diversifizieren müssen. Wir arbeiten mit bisherigen Partnern enger zusammen und wir bauen Beziehungen zu neuen Partnern auf der Grundlage der internationalen, regelbasierten Ordnung auf. Besonders wichtig für mich ist, wie Kasachstan die Lage in der Region einschätzt. Und zugleich will ich die klare Botschaft überbringen: Wir, die Bundesrepublik und Europa, sind als Partner für Sie und Euch da. Ihr steht in Eurer schwierigen Nachbarschaft mit Russland und China nicht alleine da. Auch ein anderes wichtiges Thema wird eine Rolle spielen: Wie können wir verhindern, dass europäische Sanktionen gegen Russland umgangen werden? Hier ist es wichtig, dass kasachische Behörden weiter im engen Kontakt mit der EU bleiben, um Umgehungsversuche effektiv zu verhindern.

Deutschland ist ein Vorzeigeland, wenn es um saubere Lösungen für die Energiefragen der Zukunft geht. Wo sehen Sie hier Potenzial für die Zusammenarbeit beider Länder?

Die Deutsch-Kasachische Energiepartnerschaft hat eine lange Tradition und Kasachstan ist ein wichtiger Partner für die deutsche Energieversorgung. Umso mehr freue ich mich über das große Interesse und rege Diskussionen über die Diversifizierung der Energieversorgung in Kasachstan. Kasachstan hat ein ehrgeiziges Ziel ausgerufen: Kohlenstoffneutralität bis 2060. Zentralasien und Kasachstan gehören zu den am meisten vom Klimawandel betroffenen Regionen weltweit. Das Land hat großes Potenzial für Erneuerbare Energien wie Solarenergie und grüner Wasserstoff. Es gibt viele wegweisende Ideen und bereits bestehende Projekte deutscher Unternehmen, wie zum Beispiel von den Firmen Goldbaeck Solar, Svevind, Linde und Thyssenkrupp. Eine wichtige Voraussetzung für den Ausbau unserer Energiekooperationen ist der Ausbau des „Mittleren Korridors“. Es ist ein geografisch weiter Weg, Energie, Rohstoffe und Waren von Kasachstan zu uns zu transportieren. Ich wünsche mir, dass wir die Transportkapazitäten über das Kaspische Meer, den südlichen Kaukasus und das Schwarze Meer nach Europa hin stärker ausbauen.

Heute leben mehr als 200.000 Deutsche in Kasachstan und etwa eine Million unserer Landsleute in Deutschland. Sie sorgen für starke kulturelle und wirtschaftliche Bindungen und bauen eine Brücke zwischen Kasachstan und Deutschland. Darüber hinaus arbeitet zwischen den Ländern eine zwischenstaatliche Kommission für Volksdeutsche und ein Förderprogramm wird umgesetzt. Wird diese Dynamik auch in Zukunft anhalten?

Kasachstan ist ein multiethnischer Staat, das Land schaut bei Integration auf eine reiche Tradition zurück. Die ethnischen Deutschen in Kasachstan und die kasachstanstämmigen Deutschen in meinem Land verbinden unsere beiden Gesellschaften ganz besonders lebendig. Dabei ist die Arbeit der Deutsch-Kasachischen Regierungskommission für die der in Kasachstan lebenden Deutschen sehr wichtig. Bei der letzten gemeinsamen Sitzung der Kommission in Berlin im März wurde auch die Fortsetzung der erfolgreichen Förderung durch das Bundesinnenministerium beschlossen, mit Fokus auf kultur- und bildungspolitische Zielsetzungen. Ich freue mich auch, dass die deutsche Sprache wieder als erste Fremdsprache an kasachischen Schulen angeboten wird. Das Interesse, Deutsch zu lernen, wächst derzeit in Kasachstan. Das geht wunderbar mit der Intensivierung unserer bilateralen Beziehungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zusammen.

Das duale Ausbildungssystem Deutschlands genießt in Kasachstan hohes Ansehen. Kürzlich wurde in Aktau die Eröffnung eines Deutschen Instituts für Ingenieurwesen offiziell gefeiert. Dort sollen junge Spezialisten nach deutschem Vorbild ausgebildet werden. Welche Chancen sehen Sie in solchen Vorhaben für Deutschland, das sehr unter Fachkräftemangel leidet? Und was kann Deutschland noch tun, um gut ausgebildeten jungen Leuten aus Zentralasien eine berufliche Perspektive zu bieten und so die Personalsituation deutscher Unternehmen zu entspannen?

Ich bin erfreut darüber, dass Deutschland und Kasachstan im Bildungsbereich enger zusammenarbeiten wollen. Umso mehr freut es mich, bei der Grundsteinlegung für das neue Institut für Ingenieurswissenschaften in Aktau dabei sein zu dürfen. Wir hoffen, diese Zusammenarbeit in Zukunft weiter stärken zu können. Der Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften in Deutschland ist in der Tat hoch. Aber auch Kasachstan braucht angesichts der angestoßenen Diversifizierungsvorhaben gut ausgebildete junge Leute. Diese Herausforderungen sollten wir gemeinsam angehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellten Olesja Klimenko und Christoph Strauch.

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