Sei 1993 existiert die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Almaty und engagiert sich maßgeblich bei zivilgesellschaftlichen Projekten. Über dies und die Probleme der Bürgergesellschaft, sowie die Vorteile der NGO-Arbeit in Kasachstan sprach DAZ-Autor Ulf Engert mit Elvira Pak, der Leiterin des FES-Büros in Almaty.

Welches sind die Aufgaben der FES?
Wir unterstützen Projekte, die zur Stärkung der rechtsstaatlichen Strukturen und zur Medienprofessionalisierung beitragen. Zusätzlich schaffen unsere Workshops und Seminare ein Umweltbewusstsein und vermitteln frauenemanzipatorische Ansätze.

Welche bedeutenden Projekte betreut die FES derzeit in Almaty?
Momentan fördern wir zwei Studien zur Geschichte Kasachstans. Ein Projekt beschäftigt sich mit der Mystifizierung der zentralasiatischen Historie. Leider verengte sich der Fokus auf Kasachstan. Das Projekt wurde von drei namhaften Historikern begleitet. An dieser Arbeit waren Irina Jerofejewa, eine im Westen bekannte Wissenschaftlerin, Nurbulat Massanow, der im Herbst 2006 verstarb, und Schuldusbek Abilkoschin, ein weiterer Wissenschaftler, beteiligt. Die zweite historische Untersuchung heißt „Menschenschicksal und Gebirge“ und ist eher eine journalistische Abhandlung des Journalisten Andrei Swiridow, die sich mit Einzelschicksalen von bedeutenden Personen, die zumindest eine gewisse Zeit in Alma-Ata verbrachten, beschäftigt. Es wird unter anderem über den Aufenthalt des verbannten Lew Trotzkis, die ehemals rechte Hand Lenins, den bekannten Regisseur Sergej Eisenstein, der hier an „Iwan dem Schrecklichen“ arbeitete und noch weitere Personen, berichtet. Außerdem unterstützen wir die „Deutsch-Kasachische Universität“ bei ihrer Realisierung der Sommer-Uni. In dieser studieren ausgewählte Studenten aus dem gesamten mittelasiatischen Raum und aus Deutschland im wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Bereich. Die Studenten und Dozenten des Sommerkurses können darüber hinaus Netzwerke bilden und sich untereinander über die Situation in ihren jeweiligen Heimatländern austauschen.

Welche Zielgruppe will die FES mit ihrer Arbeit erreichen?
Vor allem ist unser Fokus die Zivilgesellschaft, Beamte und Studenten. Wie man sehen kann, sind dies eher gesellschaftsrelevante Gruppen, die sozialpolitisches Engagement zeigen, Entscheidungsträger und gut ausgebildete junge, sich ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusste Menschen.

Entsteht in Kasachstan eine Zivilgesellschaft oder stagnieren die gesellschaftlichen Entwicklungen?
Von einer Stagnation kann man nicht sprechen. Es existiert aber auch kein kontinuierliches Wachstum der Bürgergesellschaft, eher gibt es eine fluktuierende Bewegung, die abhängig von staatspolitischen Prozessen scheint. Das heißt, wenn es entscheidende Veränderungen auf der politischen Ebene gibt, die die individuellen Rechte aller betreffen, bilden sich schnell soziale Bewegungen, von denen sich nur einige langfristig halten können. Darüber hinaus bestehen eine Menge neuer zivilgesellschaftlicher Organisationen, deren Potenzial noch beschränkt ist. Daneben existieren aber auch Institutionen, wie das „Kasachische Internationale Menschenrechtsbüro“, welches eine große Ausstrahlungskraft besitzt und von staatlicher Seite nicht ignoriert werden kann. Daneben gibt es die so genannten „Grand Hunter“, Organisationen, die nationale und internationale Geldgeber anzuzapfen versuchen, aber keine kontinuierliche NGO-Arbeit leisten. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass das zivilgesellschaftliche Spektrum eher zersplittert ist und nur bei extrem wichtigen tagespolitischen Ereignissen geschlossen auftritt und gemeinsame Ziele verfolgt.

Arbeiten sie mit dem kasachischen Staat zusammen?
Wir kooperieren mit verschiedenen Organisationen, dabei legen wir auf eine ausgewogene Mischung zwischen schon anerkannten und neuen sozialen Akteuren wert. In Bezug auf die Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden bevorzugen wir eine Trias aus NGOs, internationalen Organisationen, wie zum Beispiel der „OSZE“, „Goethe-Institut“ und kasachischen Ministerien. Nur durch eine solche Konstellation ist eine kontinuierliche und erfolgreiche Arbeit möglich. Leider vertreten die internationalen Organisationen Eigeninteressen der Staaten, die sie dominieren, daher ist es nicht immer einfach, das gewünschte Ziel zu erreichen. Bedauerlich ist, dass der kasachische Staat die NGO-Arbeit nicht immer gebührend anerkennt. Zunehmend werden die nichtstaatlichen Organisationen in den sozialen Sektor abgedrängt. So soll der emanzipatorische Gedanke, also die politische Partizipation der Zivilgesellschaft, auf ein gewisses Maß reduziert werden. Auf der anderen Seite gibt es auch positive Beispiele, wie unsere fruchtbare und gewünschte Zusammenarbeit mit dem „Kasachischen Institut für strategische Studien“.

Wie hat sich die Bedeutung der Religion in den letzten 16 Jahren in Kasachstan verändert?
Die Religiosität spielt zunehmend eine größere Rolle. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und das Wegfallen der sozialistischen Rituale verursachte ein Vakuum, welches genauso wie in ganz Osteuropa durch die ehemals tradierten Religionen gefüllt wurde. Jedoch ist das hier existierende Bürgertum eher säkular, aber viele benachteiligte Gruppierungen sind dem Klerus gewogen. Die Ursachen dafür sind darin zu sehen, dass die religiösen Gruppierungen ihre Mitglieder in einem gewissen Rahmen materiell unterstützen und ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln, das die Geborgenheit des sozialistischen Kollektivs ersetzt. Regierung und Administration stehen dem konfessionellen Spektrum eher ablehnend gegenüber und vertreten die Idee eines laizistischen Staatsmodells. Besonders religiöse Bildung und Schulen werden skeptisch betrachtet. Um die Religiösen zu verdrängen, investierte der Staat in Folge vermehrt ins öffentliche Bildungssystem. Somit soll auch eine religiöse Opposition eingedämmt werden. Nur der sozial-karitative Bereich wird den Religionen vom Staat freiwillig überlassen, da er sich dort weitestgehend zurückgezogen hat.

Gibt es in der Gesellschaft, die durch einen vielschichtigen Transformationsprozess gekennzeichnet ist, einen Wandel innerhalb der Geschlechterbeziehungen?

In den Sowjetzeiten gab es eine Frauenquote in der Politik, was natürlich nicht heißen soll, dass Frauen Zugang zu der obersten Führungsschicht hatten. In bestimmten Gebieten waren die sowjetischen Frauen im Vergleich zu den Männern besser ausgebildet. Dies machte sich besonders im universitären, medizinischen und administrativen Bereich bemerkbar, in dem überwiegend Frauen Karriere machten. Unter anderem war ein Drittel der Positionen in der Politik für Frauen reserviert, die dies auch wahrnahmen. Die postsowjetische Situation ist eine andere. Nur noch neun bis elf Prozent der Frauen haben Positionen im politischen Bereich inne. Zwar wird ein modernes Frauenbild von politischer Seite propagiert, jedoch bleibt es nur bei Statements. In bestimmten Gebieten, vor allem in der Wirtschaft, gibt es kleine Fortschritte, jedoch muss dann die Frau die moderne und die traditionelle Rolle ausfüllen. Daraus wird deutlich, dass Kasachstan die Kennzeichen einer patriarchalischen Gesellschaft trägt. Die Unterzeichnung der „Internationalen Konvention für Frauenrechte“ und der Gesetzentwurf zur „Verhinderung von Gewalt in der Familie“ können nicht über die reale Lage der Frauen in Kasachstan hinwegtäuschen. Eine verbale Diskriminierung von Frauen in Radio, Fernsehen und Printmedien ist an der Tagesordnung. Hindernisse gibt es natürlich auch, wenn Frauen einen Beruf ergreifen, oder wenn sie in der Ehe weiterhin an ihrer Karriere arbeiten und nicht als Hausfrau enden wollen. Diese Form der Diskriminierung ist natürlich nicht offen, sondern informell.

Welche Probleme sind Ihrer Meinung nach die dringendsten in Kasachstan, und können diese in einem überschaubaren Zeitraum gelöst werden?
Vor allem ist die Korrumpierbarkeit der Behörden zu nennen, welche das Land lähmt und auch auf die Moral der Bürger einen schlechten Einfluss hat. Leider ist mit einer baldigen Behebung dieses Missstandes nicht zu rechnen. Ein weiterer großer Missstand ist der Mangel an gut ausgebildeten Menschen. Natürlich spielen hier auch die Korruption, also der Kauf von Abschlüssen und die Ämtervergabe auf Grund von Verwandtschaftsverhältnissen oder sonstigen nicht leistungsbezogenen Kriterien, eine Rolle. Aber auch das marode Bildungssystem, in das lange nicht investiert wurde, hinterlässt Spuren in der Ausbildung junger Menschen. Der Staat hat dies mittlerweile realisiert und investiert verstärkt ins Bildungssystem. Somit kann man sagen, dass in diesem Bereich in Zukunft eine Besserung zu erwarten ist. Noch dringender ist jedoch der Aufbau einer Zivilgesellschaft und professionell sowie unabhängig arbeitender Medien. Man muss aber auch sehen, dass die meisten Probleme miteinander korrespondieren und nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können.

06/07/07

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