Wenn man den Luxus kosten durfte, schmeckt das Einfache nicht mehr so gut. Das gilt natürlich nicht für alles. Denn obwohl ich in teuren Häusern nächtigen durfte, bevorzuge ich immer noch die Holzhütte im Wald. Obwohl ich Fasan gegessen habe, mag ich Gulasch nicht weniger. Bei Wein und Cognac ist es schon etwas anderes, da gibt es kein Zurück mehr. Beim Zugfahren ist es genauso.

Früher bin ich, ohne zu murren und zu meckern, mit der Regionalbahn gefahren. Richtig weite Strecken. Mit vielen Malen Umsteigen. Das war, als ich noch Studentin war, wenig Geld zur Verfügung hatte und froh war, dass es das Wochenendticket gab, welches einem zu geringem Preis wildes Hin- und Herkutschieren durch ganz Deutschland ermöglichte. Was machte es da schon aus, dass man nur Regionalzüge benutzen durfte? Eben!

Irgendwann entdeckte ich den Intercity und schon bald darauf den ICE – Intercity Express. Das war, als ich meine erste richtige Stelle antrat, ständig gestresst und erschöpft vom Arbeitsalltag und vom Pendeln war, mich auf zugigen Bahnsteigen herumdrückte und all die Leute beneidete, die schon in den ICE einsteigen durften, während ich noch auf meine Regionalbahn wartete, weil ICEs die Regionalbahnen IMMER überholen dürfen. Worin ich mich von denen unterscheide, die überholen dürfen, fragte ich mich eines Tages. Wenig bis gar nichts, so schien mir bei näherem Nachdenken. So entschloss ich mich, mir den ICE zu gönnen, war froh über diese Einsicht, durfte von da an immer überholen und erfreute mich stets aufs Neue an dem Komfort – bis es normal und selbstverständlich wurde.

Was mir erst wieder letztens auffiel, als ich meine Freunde in Marburg besuchte. „Wie, es fährt kein ICE dorthin!“, stellte ich empört fest. Dass ich eines Tages mal wieder Regionalbahn fahren würde, kam mir inzwischen sehr abwegig vor. Aber in diesem Fall, na gut, warum eigentlich nicht, war früher ja auch normal, stelle ich mich eben nicht so an, redete ich mir tapfer ein. Aber ich muss sagen, die Bahnfahrt war fürchterlich. Es war viel zu voll. Die Leute drängelten wie bescheuert. Es war entsprechend laut. Der Zug war schlecht klimatisiert. Es gab kein Bistro oder jemanden, der mit dem Imbisswagen kam. Man konnte die Sitze nicht verstellen und saß unbequem. Den Zustand der Toiletten möchte ich hier lieber nicht beschreiben.

Auf dem Rückweg saß ich inmitten einer Auseinandersetzung zwischen zwei Fußballgangs, die eine im Zug, die andere auf dem Bahnsteig. Ein Stück des Weges konnte ich mich an der Ausgelassenheit eines Kegelvereins auf Ausflugsfahrt erfreuen. Nicht außergewöhnlich. Ganz normal. Ich hatte bloß vergessen, wie es in der Regionalbahn zugeht und frage mich, wie ich das damals ausgehalten habe. Natürlich, ich war jung! Aber über die Hälfte der anderen Zuggäste sind älter als ich. Natürlich, ich bin verwöhnt! Jetzt bin ich mit meiner Freundin nach Luxemburg gefahren, da wurde mir ein Sparangebot für die 1. Klasse eröffnet. Da habe ich natürlich gleich zugeschlagen. Nun frage ich mich, ob es nicht ein Fehler war. Ich habe immer schon nach der 1. Klasse geschielt und mich gefragt, ob sich nicht noch viel mehr Komfort aus der Bahnfahrerei locken lässt. Tatsächlich sind die Sitze um einiges breiter, man hat mehr Beinfreiheit. Der Schaffner bringt einem höchstpersönlich Getränke an den Platz, und es ist leerer und ruhiger. Ob ich den Schritt zurück schaffe? Morgen kommt die Probe, da fahre ich wieder „nur“ 2. Klasse und das auch noch im Eurocity. Mal sehen, ob ich es aushalte oder ob die 1. Klasse schon Besitz von mir ergriffen hat.

Julia Siebert

21/08/09

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