Ein Erlebnisbericht vom 11. Almaty Marathon am 25. September 2022

Der 29. Juni verändert meine Planung für den Sommer 2022 radikal. An diesem Tag geht eine Mail von Air Astana in meinem Postfach ein, in der die staatliche Fluggesellschaft Kasachstans auf den 11. Almaty Marathon im September hinweist. Ich werde sofort hellhörig, da ich seit Jahren nicht mehr an einem solchen Wettkampf teilgenommen habe und mich nach all der Zeit wieder nach einer echten sportlichen Herausforderung sehne. Am 25. September soll es so weit sein – ziemlich genau drei Monate bleiben also Zeit für eine intensive Trainingsvorbereitung.

Los geht’s mit einigen kürzeren Läufen entlang der bekannten grünen Erholungspfade und Parkanlagen, die es in Almaty trotz der allgemein verbesserungswürdigen Luftqualität zur Genüge gibt. Bald schon folgen längere Läufe entlang der Al-Farabi-Allee, bei denen ich an stickig-heißen Sommerabenden nach Dienstschluss den beißenden Geruch von Autoabgasen ignoriere. Zudem geben mir diese Einheiten erste Eindrücke davon, wie es sein wird, am Wettkampftag das erste Drittel der Strecke fast durchweg bergauf zu bestreiten. Den Rest des Trainings – darunter Tempo- und Steigerungsläufe sowie mehrere Einheiten über 25 bis 30 Kilometern, absolviere ich während eines Heimataufenthalts. Da die Vorbereitung immer wieder von unterschiedlichen Muskel-Wehwehchen überschattet wird, bin ich heilfroh, Mitte September die Intensivphase des Trainings trotz allem gesund und ohne Verletzung überstanden zu haben. Der Wettkampf kann also kommen!

Buntes Sportfest für die Hauptstadt des Südens

Von früheren Marathons weiß ich, dass ein solches Ereignis nicht nur für die Teilnehmer, sondern auch für den Austragungsort und seine Einwohner ein großes Fest ist. Ich bin gespannt, wie Almaty – die Stadt, in der ich seit drei Jahren lebe und arbeite – die Sportparty organisiert und begeht, und wie diese auf seine Einwohner wirkt. Und tatsächlich lässt sich nur Gutes sagen: Von der Kommunikation mit den angemeldeten Teilnehmern über die Bereitstellung der Startunterlagen, die Streckenführung und die feierliche Atmosphäre, die bereits in den frühen Morgenstunden des 25. September Einzug hält rund um den Platz der Republik.

Dort, wo im Hintergrund noch das ausgebrannte Akimat zu sehen ist und sich im Januar einige der dunkelsten Stunden in der jungen Geschichte des Landes ereigneten, grüßen nach Sonnenaufgang zahlreiche bunte Firmen- und Werbestände, einige davon in Form von traditionellen kasachischen Jurten. Auf einer großen Bühne wird das Unterhaltungsprogramm für die Zeit ab 7:30 Uhr vorbereitet, wenn der Startschuss für die Königsdisziplin über 42 Kilometer ertönen wird, gefolgt von dem Halben zehn Minuten später. Auch etliche der mehreren Hundert Freiwilligen haben sich bereits eingefunden und sorgen für ein reges Gewusel.

Nachdem ich mir einen ersten Überblick über die Situation vor Ort verschafft und mich etwas aufgewärmt habe, verbringe ich die letzte Stunde zuhause und blödele mit meiner Freundin herum, um ein wenig gegen die Aufregung und Anspannung anzukämpfen, die an so einem Tag wohl normale Begleiter eines jeden Teilnehmers sind. Allerdings vergesse ich darüber ein wenig die Zeit und schaffe es nur dank eines Sprints über die letzten paar Hundert Meter, mich noch rechtzeitig zum Startschuss an die Startlinie zu hangeln.

Almatiner mit Enthusiasmus dabei

Direkt nach dem Start wird klar, dass dieses Jahr mehr Profis an dem Wettkampf teilnehmen als ein Jahr zuvor. 2021 lag die Zeit des Siegers bei 2:41, gefolgt vom Zweitplatzierten mit 2:49 und dem Dritten mit 2:52. Bei früheren Marathons habe ich selbst regelmäßig Zeiten zwischen 2:52 und 2:58 geschafft – und mit 35 Jahren falle ich in diesem Jahr letztmalig in die Alterskategorie, die von vielen als ideal für die Marathon-Distanz angesehen wird. Mein Ziel orientiert sich daher sowohl an eigenen früheren Leistungen als auch an der Platzierung beim 2021-er Marathon in Almaty: eine Zeit von unter drei Stunden und eine Platzierung in den glorreichen Top Ten.

Doch bereits nach wenigen Minuten ist ein größeres Feld von zehn bis zwanzig Läufern aus dem Blickfeld verschwunden. Die Hoffnung ruht nun darauf, dass möglichst viele von ihnen nicht als Einzelläufer unterwegs sind, sondern als Teil der Firmen-Staffel, die ebenfalls im Rahmen des Marathons stattfindet. Für ein positives Gefühl auf der ersten von zwei Runden sorgen zudem nicht nur die Zwischenzeiten, die über meinen eigenen Erwartungen liegen, sondern auch der Enthusiasmus der vielen Almatinerinnen und Almatiner, die am Straßenrand die Sportler anfeuern. Ihre Rufe, Gesten und Tänze tragen und sorgen für warme Emotionsschübe.

Die zweite Runde verkommt zum Willenskampf

Die zweite Runde wird härter. Allmählich beginnen die Kräfte nachzulassen, und auch im Kopf verfliegt die anfängliche Euphorie allmählich. Dafür sorgt zum einen der Anblick von Hunderten Halbmarathon-Läufern, die zeitgleich mit mir die Ziellinie überschreiten und ihr Soll für heute erfüllt haben. Zum anderen wird der Lauf eine immer einsamere Angelegenheit, da das Spitzenfeld uneinholbar weit vorn ist und auch von hinten nur noch alle zwanzig Minuten ein Konkurrent naht. Zudem beginnt die zweite Runde freilich wie schon die erste mit sieben bis acht Kilometern Anstieg.

An den Anfeuerungsrufen der Menschen, die immer noch mit Begeisterung am Straßenrand ausharren, kann ich mich auch schon längst nicht mehr hochziehen. Die letzten sieben Kilometer verkommen zu einem reinen Willenskampf gegen die eigenen Charakterschwächen. Ein Teil meines inneren Ichs sagt mir, dass ich die drei Stunden auch schaffe, wenn ich den Fuß vom Gaspedal nehme und den Verschleiß in Grenzen halte. Er erinnert mich zudem an das, was bei einem Marathon passieren kann, wenn man nicht auf den eigenen Körper hört und seine Warnsignale ignoriert, denn es ist inzwischen auch heiß. Der andere Teil dagegen erinnert mich zudem an das Top-Ten-Ziel und an das Gefühl, in wenigen Minuten triumphal die Ziellinie zu überschreiten.

Trauriger Vorfall überschattet den Tag

Kurz vor halb elf ist es dann so weit. Ein buntes Meer von Zuschauern und der erlösende Zielbogen rücken immer näher. Ein letztes Mal versuche ich, das Tempo anzuziehen – ohne zu merken, dass sich an meiner Geschwindigkeit tatsächlich etwas ändert. Während ich die letzten Meter runterhumpele, sehe ich aus dem Augenwinkel einen Mann, der sich mit einer Deutschlandfahne aus der Menge heraushebt. Erst später verstehe ich, dass es Mario Schönfeld, Fachberater für Deutsch in Kasachstan, ist, der mit seiner Frau Simone zum Anfeuern in den Zielbereich gekommen ist. Noch heute wandert ein breites Grinsen auf mein Gesicht, wenn ich an diesen Moment denke. Nach 2:55 habe ich es geschafft, und direkt nach dem Zieleinlauf wartet die schönste Belohnung für die Tortur: eine Umarmung von dem Mädchen, das mich an diesem Tag nach Kräften unterstützt hat.

Mit Platz elf habe ich das Platzierungsziel leider denkbar knapp verfehlt. Umso zufriedener bin ich dagegen mit der Finish-Zeit, an die ich selbst so nicht geglaubt habe. Das Wichtigste ist aber an diesem Tag und bei jedem anderen Wettkampf, gesund ins Ziel gekommen zu sein. Leider hören wir später von der traurigen Nachricht, dass dies nicht jeder geschafft hat. Ein Teilnehmer des Laufs über zehn Kilometer brach nach dem Zieleinlauf zusammen und konnte nicht mehr reanimiert werden.

Der Sieger Shadrack Koech, Kasachstaner mit kenianischer Herkunft, hat die
42 Kilometer in diesem Jahr in 2:21 geschafft. Das ist zwar ein gutes Stück weit entfernt von den märchenhaften 2:01, mit denen nahezu zeitgleich der Kenianer Eliud Kipchoge in Berlin einen neuen Weltrekord aufgestellt hat. Im Vergleich zum Vorjahr ist es aber eine Erhöhung der Bestzeit um satte 20 Minuten. Wir, das Team der DAZ, gratulieren Shadrack zu seinem tollen Erfolg!

Christoph Strauch

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