„Wenn du eine Reise tust, dann kannst du was erleben“, sagte meine Oma, wie ich bekanntlich gern zitiere. Vor allem, wenn es ums Reisen geht. Was sie aber noch vielmehr fand: „Zu Hause ists am Schönsten.“ Was ich inzwischen auch bestätigen kann. Und damit komme ich immer mehr auf meine Oma, die nämlich in Wahrheit gar nicht gern verreist ist, sondern immer was an und in ihrem Häuschen zu tun fand. So geht’s mir jetzt auch.

War mir noch vor wenigen Jahren Wladiwostok nicht weit genug entfernt, ist mir jetzt fast schon der Bäcker zu fern. Und der befindet sich gegenüber, dass man bequem mit den Pantoffeln rüberschlurfen kann. Was ich inzwischen tue. Nicht besser macht, dass ich in meinem Hutzelhäuschen viel Besuch bekomme, weil meine Freunde sehen wollen, wie ich jetzt wohne. Und gerne wiederkommen, weil es alle so schön hier finden. Damit habe ich noch weniger Gründe, aus dem Haus zu gehen. Ja, so kann ich mich prima ungestört wohlig einlümmeln. Wäre ich ein Mann, hätte ich sicher schon einen Fünftagebart.

Wie gut, dass mich ab und zu meine Vermieter aus der Bude locken, wenn sie mit ihrem Hund spazieren gehen. Das gibt frische Luft, Bewegung, es ist zudem äußerst nett, lustig und bereichernd. Denn wenn man sich schon nicht in die Welt bewegt, um sie zu entdecken, muss die Welt eben an einen herangetragen werden. Und wie sich immer wieder zeigt: Auch in der unmittelbaren Umgebung kann man in neue Lebenswelten und –kulturen geraten.

Heute: Ordnung im Walde. Ein interessantes und weitreichendes Thema. Das hätte ich gar nicht gedacht und sowieso nicht gewusst. Es sollte nur ein spontaner Spaziergang mit meinem Vermieter samt Hund werden. Doch es eröffneten sich plötzlich und ungeahnt neue Welten. Der Wald ist bekanntlich nicht mein heimisches Gefilde. In der Komplexität aus Wegesführung, Flora, Fauna und Verhaltensregeln bin ich quasi verloren. Da muss man mich explizit und ganz behutsam, Schritt für Schritt heranführen.

Doch dann ging alles ganz schnell. In nur circa 1 Stunde in nur etwa 1 km/h auf nur circa 1 gefühlten qkm (mit Raumangaben habe ich es auch nicht so) haben sich ca. 1.000 neue Lebensaspekte eröffnet: viele Baum- und Pflanzenarten mit dem jeweils typischen Wurzel- und Blühverhalten. Die Anordnung der jeweiligen Pflanzen im Raum, nach pflanzlichen und ästhetischen Gesichtspunkten.

Das richtige und falsche Einwirken des Menschen, insbesondere der städtischen Verwaltung, insbesondere des Grünpflegeamtes. Dabei wurde auch der Mensch nicht vernachlässigt, der in seiner Rolle als wohlwollender aber respektvoller Beobachter und Genießer mit dem gebührenden Abstand den bepflanzten Raum betrachten darf, sich auch ein bissl nähern, aber nicht zu nah und aufdringlich.

Vor lauter Informationen wusste ich gar nicht mehr, wohin ich schauen sollte, so viel gab es in allen Himmelsrichtungen und in allen Augenhöhenlagen gleichzeitig zu entdecken. Und in all den statischen Anordnungen auch noch sich bewegende Lebewesen, insbesondere kletternde Eichhörnchen und fliegende Habichte; nicht zu vergessen die Lichteinwirkung. Und all das hat der Helmut erkannt und/ oder gestaltet. Wahnsinn! Dass man Wald gestalten kann, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Tat ich mich doch immer schon schwer, einzelne Zimmer einzurichten oder auch nur ordentlich zu halten. Daran sind nicht nur meine Eltern verzweifelt.
Aber wenn ich auch Ordnung nicht halten kann, so kann ich sie doch erkennen. Und nach der geführten Erläuterung nun sogar auch im Wald. Erst recht nach dem anschließenden Kontrastprogramm im anliegenden Waldstück. Mann, war das eine Unordnung, also ehrlich! Von jetzt an laufe ich sicher anders durch den Wald. Und werde mir bei lieblos oder fachlich schlecht gestalteten Waldstücken ein Tststs nicht verkneifen können.

Julia Siebert

09/04/10

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia