Der Ethnologe Jesko Schmoller (29) lebt seit Sommer 2006 in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. In seinem dritten Bericht über das Leben in der Mahalla betrachtet er einheimische Traditionen zum Frühlingsanfang.

Der usbekische Frühlingsanfang kennt viele Traditionen. Eine Reihe davon kreisen erfreulicherweise um die Essenszubereitung. So auch das Sumalak-Kochen, dem ich am vergangenen Wochenende beiwohnen durfte.

Meine usbekische Gastfamilie hatte sich am frühen Abend mit mir auf den Weg zu Verwandten gemacht, die am Stadtrand von Taschkent wohnen. An der Fensterscheibe meines Rücksitzplatzes zogen Hochhaussiedlungen Block für Block vorbei, hinter denen planetengleich ein blassroter Mond hing. Am Zielort erwartete uns inmitten des mit Holzspänen ausgestreuten Hofes ein schwerer Eisenkessel, in dem bereits seit den Vormittagsstunden das Sumalak kochte.

Sumalak. Wie bei vielen usbekischen Spezialitäten ist die Zubereitung recht aufwendig: Zuerst einmal werden zehn Kilo Weizenkörner in einem dunklen Raum auf einer glatten Fläche verteilt. Der Weizen wird mit Wasser besprengt und beginnt im Laufe von drei bis sieben Tagen zu keimen. Schließlich mahlt man den Weizen klein, legt ihn in ein Tuch und presst aus diesem die Flüssigkeit heraus, welche in den Eisenkessel läuft. In den noch kalten Kessel werden 50 Kilo Mehl geschüttet, das dann mit dem Weizensaft und rund zwei Litern Baumwollöl verrührt wird. Unter dem Kessel mit der jetzt milchigen Flüssigkeit wird das Feuer entzündet. Nun ist es soweit. Die eigentliche Arbeit, das Umrühren, kann beginnen und muss für die nächsten zwölf Stunden aufrechterhalten werden. Weil niemand das Umrühren allein bewältigen kann, ist Sumalak-Kochen eine echte Familienangelegenheit. Zusammen sitzt man bis spät um den Kessel, plaudert und wärmt sich an den Flammen. Das Sumalak wird schnell zu einer braunen, karamellartigen Masse. Jede Stunde werden zwei Eimer Wasser nachgeschüttet.

Es muss so gegen elf Uhr gewesen sein. Der Alabaster-Mond über unseren Köpfen hatte scharfe Umrisse bekommen, lautlos schraubte sich der Dampf von der leise brodelnden Sumalak-Oberfläche in den Himmel, die Gummisohlen unter meinen Füßen glühten ob ihrer Nähe zur Hitzequelle. Da nahm man die letzten Holzscheite aus dem Feuer und warf sie in ein Gartenbeet, wo sie weiter vor sich hinglommen. „Wenn du jetzt vom Sumalak probierst, wirst du ganz müde“, erklärte mir mein Gastbruder Umar. Wieso? „Na, weil wir doch so viele Stunden daran gearbeitet haben.“ Ich wurde müde, wie versprochen. Über den Kessel legte man Tücher und Polster, so dass das Sumalak ruhen konnte. Auch ich wollte ruhen, schälte mich im Gästezimmer aus den rauchigen Klamotten und kroch unter die dicke Bettdecke.

Nach meinem Dafürhalten eindeutig zu früh versammelten wir uns wieder alle um die Kochstelle. Tücher und Polster wurden fortgenommen und man schaute gespannt auf die inzwischen erkaltete Oberfläche des Sumalak. Der Überzeugung nach lassen sich auf ihr nämlich zukünftige Ereignisse in Form eines Symbols ablesen. Ein Kamel, so waren sich alle einig. Und was bedeutet das? „Ein gutes Zeichen“, sagte man mir. Ich dachte an die Händlerkarawanen auf der Seidenstraße und fragte, ob das Kamel für Reichtum stehe. So genau wollte man sich dann aber doch nicht festlegen: „Ein gutes Zeichen.“

Und das Sumalak? Geschmacksintensiv, wie Erdnussbutter fast ein bisschen scharf und – ganz ohne die Zugabe von Zucker – wunderbar süß.

Von Jesko Schmoller

16/03/07

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