Wie einmal der US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King geschrieben hat, ist Liebe die beständigste Macht der Welt. Den Sinn dieses Satzes habe ich erst während des Interviews mit meiner Mutter richtig verstanden. Als mir vor ein paar Tagen ein Foto meiner Mutter in die Hände fiel, sah ich sofort, dass es nicht in Kasachstan gemacht worden war. Also ging ich zu ihr und fragte sie: „Wo hast du denn dieses Foto gemacht?“ Und so habe ich eine neue interessante und rührende Geschichte meiner Eltern erfahren.

Mutter: Ach, dieses Foto? Habe ich dir darüber nichts erzählt? Das war früher in Moskau.

Naserke: In Moskau? Aber was hast du denn in Moskau gemacht? Ich wusste nicht, dass du schon mal in Moskau warst.

M.: Doch, ich habe dort gelebt und gearbeitet! Eigentlich komisch, dass ich dir und deiner Schwester erst so wenig von meinem Leben erzählt habe. Ich habe gedacht, dass euch das nicht so interessiert.

Doch natürlich! Es interessiert mich sehr, etwas aus deinem Leben zu hören. Ich weiß zwar, dass du in der Stadt Astrachan, also in Russland, geboren bist. Aber warum hast du Kasachstan damals verlassen?

Die Ursache war ganz einfach die Arbeit. Es war sehr schwierig, hier in Kasachstan eine gute Arbeit zu finden, deshalb sind meine Eltern nach Russland gezogen. Außerdem haben viele Kasachen in Astrachan gelebt und auch die Russen waren sehr freundlich zu uns. Ich habe mich dort immer wohl gefühlt und meine Kindheit war wunderbar. Ich bin im Jahr 1973 dort geboren und habe da bis 1990 gelebt.

Und dann bist du gleich nach Moskau gegangen?

Nein, noch nicht gleich. Ehrlich gesagt, hatte ich zwar damals schon die Idee, aber dann gab es zwei politische Ereignisse, die meine Pläne durchkreuzt haben. Zuerst hat in Russland ein Staatsstreich, ein sogenannter Putsch stattgefunden, dessen Ergebnis der Zerfall der Sowjetunion war. Dann wurde in dessen Folge Kasachstan unabhängig. Damit begann auch die Rückführung der Kasachen in ihr Land. Meine Eltern haben sich Sorgen gemacht und entschieden, dass es besser wäre, wenn wir nach Kasachstan zurückkehren, weil die Situation in Russland sehr angespannt war.

Verstehe. Aber wann bist du denn nach Moskau gegangen?

Im Jahr 1995, als ich mein Studium beendet hatte, habe ich ein Angebot bekommen, in Russland eine Fortbildung zu machen. Da habe ich natürlich „Ja“ gesagt.

Wie lange bist du in Moskau geblieben?

Drei Jahre habe dort als Kulturmittlerin gearbeitet. Wenn ich jetzt zurückdenke, waren das vielleicht die besten Zeiten meines Lebens. Ich und meine Kollegen haben verschiedene kulturelle Veranstaltungen organisiert und dort Kasachstan und die kasachische Kultur präsentiert. Es war eine wunderbare Aufgabe, die mich ganz erfüllt hat.

Und was hat dir in Russland besonders gut gefallen?

Als zunächst, die traditionelle Küche. Ich habe mir dort viele Rezepte angeeignet, die ich jetzt noch oft koche und ihr esst. Aber ich habe natürlich auch etwas zurückgegeben: Ich zeigte meinen Freunden in Russland, wie man Beschbarmak (traditionelles kasachisches Gericht) kocht. Für mich ist das kultureller Austausch, ich liebe das. Es macht die Beziehungen und Freundschaften zwischen den Menschen stärker. Und das habe ich auch in Russland erlebt. Die Menschen dort sind so gastfreundlich, tolerant und sehr hilfsbereit. Ich freue mich, dass ich in einem fremden Land so warmherzige Menschen getroffen habe. Vielleicht ist das der Grund, warum ich Russland so liebe.

Damals habe ich oft gedacht, dass es vielleicht das Beste wäre, ganz in Russland zu bleiben. Meine Verwandten hatten nichts dagegen und sie haben eigentlich schon damit gerechnet, dass ich dort heirate und Kinder haben werde. Ich habe wirklich meine Zukunft schon dort gesehen.

Aber warum bist du schlussendlich doch nach Kasachstan zurückgekommen?

Nasereke Abdeschewa (2. v.r.) mit ihrer Familie heute. | Foto: privat

Hier beginnt der interessanteste Teil meiner Geschichte. Wie du schon weißt, hat dein Vater in seinem Leben sehr viele Länder besucht. Es ist schwer, noch ein Land zu finden, wo er noch nicht war. Und natürlich, war er auch unzählige Male in Russland. Dass wir uns dort trafen, ist für mich so was wie Schicksal. Als ich in Russland gearbeitet habe, machte dein Vater dort gerade Urlaub und auf dem Rückweg nach Kasachstan saßen wir im selben Zug. Dort haben wir uns zum ersten Mal getroffen und natürlich sofort verliebt. Als wir in Kasachstan angekommen waren, hatte ich schon meine alten Pläne über Bord geworfen. Ich bin hiergeblieben, um deinen Vater besser kennenzulernen. Vier Monate später waren wir verheiratet, danach hat dein Vater mir viele Länder gezeigt. Aber bei all den schönen Reisen kann ich dennoch sagen, dass Russland nach wie vor einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen einnimmt.

Das ist aber sehr romantisch. Aber wie geht die Geschichte weiter?

Ehrlich gesagt, ist das eine unendliche Geschichte. Nach unseren Abenteuern waren wir nach Kasachstan zurückgekommen und kauften hier eine große Wohnung. Und dann bist du geboren worden, und im Jahr 2006 deine Schwester. Heute bin ich die glücklichste Frau und Mutter der Welt.

Und bedauerst du nicht etwas, dass du heute nicht in Russland lebst?

Nein! Wenn ich in Russland geblieben wäre, hätte ich nie deinen Vater getroffen und keine solchen wunderbaren Kinder gehabt. Ich liebe Russland, und es wäre auch schön gewesen dort zu leben, aber ich bin viel glücklicher hier, mit meiner Familie. Es gibt ein russisches Sprichwort: Der Ort, wo sich dein Lieblingsmensch befindet und wo deine Familie dich glücklich macht, ist deine Heimat!

Ja, das verstehe ich. Möchtest du Russland noch einmal besuchen?

Ja, natürlich! Aber ich denke, das nächste Mal reisen wir alle zusammen.

Das Gespräch führte Naserke Abdeschewa (15), Schule 18, Almaty

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