Die „Financial Times Deutschland“ zur Zukunft Stoibers:

„Sein Zaudern ist bestraft worden: Für den CSU-Chef ist bei einem Wahlsieg der Union kein Platz mehr in Merkels Kabinett. Mit einwöchiger Verspätung musste auch Edmund Stoiber als letzter Unionsgrande Merkels Überraschungsmann im Kompetenzteam seine Reverenz erweisen. „Keine Frage, wenn das Wahlergebnis so ausfällt, wäre es eine hervorragende Lösung, dass Professor Kirchhof Bundesfinanzminister wird“, säuselte der bayerische Ministerpräsident. Servus Berlin, Servus Superminister, hätte Stoiber sich kürzer fassen können. Merkels Regierungszug ist abgefahren – ohne ihn. Finanzminister in einer möglichen schwarz-gelben Koalition wird entweder tatsächlich der Steuer-“Visionär“ Kirchhof, oder, falls Merkel dessen Radikalität zu waghalsig erscheinen sollte, der hessische Regierungschef Roland Koch. Und aufs Wirtschaftsamt macht sich die FDP Hoffnungen. Einen Superman aus München hat Angela Merkel nicht mehr nötig. Lange, zu lange hat Edmund Stoiber gezögert, ob er bei einem Wahlsieg nach Berlin gehen und ein herausragendes Regierungsamt übernehmen soll. Er ließ sich alle Optionen offen, spielte sich mit Querschüssen wie der Ostdeutschenschelte in den Vordergrund und erweckte durch ein geplantes Duell mit Oskar Lafontaine gar den Eindruck, als sei er der Nebenkanzlerkandidat der Union. Davon angenervt, hat Angela Merkel ihm die Entscheidung kurzerhand abgenommen. Sie präsentierte Kirchhof, und als Stoiber bei der Vorstellung ins Scheinwerferlicht rückte, raunzte sie ihn an: „Das mach’ ich.“ Inzwischen dämmert es dem CSU-Chef, dass er keine Wahl mehr hat. Er wird weiterhin den Freistaat regieren müssen, statt die Republik mitzugestalten. Gereizt hatte ihn ein Ministerposten in der Bundeshauptstadt, weil auch in Bayern die Gestaltungsspielräume finanziell immer enger werden. Aber wie so oft konnte sich Stoiber nicht eindeutig festlegen. Damit bleibt ihm die Rolle des Grantlers, ähnlich, wie sie Franz Josef Strauß zu Zeiten von Helmut Kohl spielte. Der CSU wird das ein hohes Maß an Eigenständigkeit sichern, aber vergnüglich wird das für Stoiber nicht, wenn Merkel wie Kohl handelt nach dem Motto: Was kratzt es mich, wenn Hunde den Mond anbellen?“

(„Financial Times Deutschland“, Hamburg, 30. August)

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia